Meine Überraschung war groß, als ich an einem eher grauen Montagmorgen im späten Januar eine brandneue Liste des Weltwirtschaftsforums von einem Leader in die Hände gedrückt bekommen habe, der kurz davor in Davos gewesen war. Auf der Liste waren die zehn wichtigsten Kompetenzen gelistet, auf die man sich im Jahr 2022 konzentrieren sollte. Sie lauten:
- Gamechanging Skill
- Komplexe Problemlösung (Complex Problem Solving)
- Kritisches Denken und Analyse (Critical Thinking and Analysis)
- Kreativität, Innovation, Konzeption, Originalität und Initiative (Creativity, Innovation, Ideation, Originality, and Initiative)
- Mitarbeiterführung (People Management)
- Koordinierung mit anderen (Coordination with others)
- Emotionale Intelligenz (Emotional Intelligence)
- Urteilsvermögen, logisches Denken, analytisches Denken und Entscheidungsfindung (Judgment, Reasoning, Analytical Thinking, and Decision Making)
- Dienstleistungsorientiertheit (Service Orientation)
- Verhandlung (Negotiation)
Der erste Platz geht an eine Kompetenz, über die im Diskurs des Business Mainstream zum Leadership noch relativ wenig gesprochen wird oder – anders formuliert – dem breiteren Publikum noch nicht viel sagt: Gamechanging Skill. Was ist damit gemeint? Was ist das für eine neue Kompetenz? Wer sollte sie entwickeln? Welchen Nutzen bzw. welchen Impact hat sie? Ich dachte, gut, wenn das Weltwirtschaftsforum solch eine Kompetenz formuliert und „postuliert“, dann kann es sicherlich dazu beitragen, dieses mir wohlbekannte Konzept in die Mainstream-Diskussion einzubringen.
Passenderweise hatte ich mich im vergangenen Jahr mit genau diesem Thema befasst und im Oktober ein Buch mit dem Titel „6 Leadership Skills, die Dich zum Gamechanger machen“ veröffentlicht. Gamechanging heißt wörtlich „das Spiel (ver-) ändern“, „die Spielregeln ändern“, d.h. im Business-Kontext die bis dahin gültigen Dynamiken in einer Organisation zu verändern, neu zu definieren und zu leben. Der "Game-Changer" ist offensichtlich eine Person, die für Veränderungen verantwortlich ist und diese initiiert.
Bevor ich auf die Kompetenz „Gamechanging Skill“ eingehe, möchte ich kurz die Liste mit den Top-10-Fähigkeiten kommentieren. Was auffällt, ist, dass abgesehen von den unter den Nummern 2, 3, 4 und 8 aufgeführten vier Fähigkeiten alle anderen etwas gemeinsam haben. Gamechanging Skill, Mitarbeiterführung, Koordinierung der Anderen, Emotionale Intelligenz, Dienstleistungsorientiertheit und Verhandlung setzen eine Beziehung zu anderen Menschenvoraus. Anders gesagt basieren alle auf dem Prinzip der Reziprozität: d.h. ohne die anderen wären diese Fähigkeiten nicht erlernbar! Was heißt das? Das heißt, dass es bei den relevantesten Skills für das Jahr 2022 um die Interaktion und die zwischenmenschlichen Beziehungen geht und nicht um fachliche Qualifikationen oder erworbenes Fachwissen. Die Erkenntnis daraus ist für mich, dass zukünftig die sogenannten sozialen und humanen Kompetenzen Schwerpunkt sein und deren Entwicklung und Training massiv, vor allem im beruflichen Kontext, gefördert werden müssen.
Der Gamechanging Skill ist eine Kompetenz die einige andere Fähigkeiten beinhaltet. Insgesamt sechs dieser Fähigkeiten habe ich identifiziert, die entscheidend sind, damit ein Gamechanging in einer Organisation überhaupt initiiert werden kann. Denn diese Kompetenzen haben einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf die Organisationskultur.Warum Gamechanger kein leichtes Leben haben und leider immer noch zu selten als mutige Figuren in den Organisationen gesehen werden, kann man relativ einfach nachvollziehen.
Um die bestehenden und veralteten Spielregeln zu ändern, die einer Organisation nicht mehr dienen, benötigt man Menschen, die einen starken Einfluss auf die Mitarbeiter*innen haben, Menschen, die als Vorbilder dienen und fähig sind, jede/n einzelne/n Mitarbeiter/in abzuholen, genau dort, wo sie/er sich gerade befindet. Solche Gamechanger sind selten, denn Mut ist ein rares Gut, vor allem bei Führungskräften. Und weil nur ganz wenige Leader das volle und tiefste Vertrauen der Menschen gewinnen können, sind Gamechanging Prozesse nicht einfach voran zu bringen. „Vertrauen schaffen“ ist das neue Mantra und alles, was in einer Organisation Vertrauen schafft, ist Gold wert.
Schauen wir uns nun diese sechs Fähigkeiten genauer an, die mehr als andere Vertrauen unter Menschen fördern. Diese kompakte Auswahl entstammt meiner Erfahrung, die ich als Business Coach und Leadership Consultant täglich mit meinen Kund*innen mache. Hier komprimiert ausgeführt sind die sechs Schlüsselkompetenzen, die u.a. Vertrauen schaffen und es Führungskräften und Führungskräftinnen ermöglichen, Veränderungen zu initiieren und zu implementieren.
Authentisch sein
Es ist ein Akt des Mutes und der Demut. Man beginnt mit dem Erkennen, nicht immer die Lösungen zu haben und mit dem Zugestehen, dass wir verletzlich sind und Fehler machen. Dafür brauchen wir kaum Ego und Perfektionismus, vielmehr Mut und Selbstvertrauen.
Proaktives Hören
Weg vom desinteressierten Zuhören, rein ins proaktive Hören. Es ist nicht einfach sich interessiert zu zeigen, neugierig zu bleiben und Geduld zu haben. Was wir aber dabei lernen sind die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter*innen und Stakeholder*innen richtig kennenzulernen. Was wir dafür brauchen sind Menschen, Zeit, guter Wille, viel Übung und einen Safe Space. Was wir nicht brauchen ist uns zu verstellen und zu verschließen.
Sicherheit geben
Einen sicheren Raum für Menschen schaffen, in dem sie sich sicher fühlen, keine Angst haben und offen und kreativ sein können. Was wir dabei lernen ist mit Verletzlichkeit umzugehen, starke Verbindungen aufzubauen und den Arbeitskontext zu einem für alle Beteiligten sicheren Kontext zu machen. Was wir dafür brauchen ist Empathie, wertschätzende Kommunikation, neue Praktiken und geteilte Regeln. Was wir dafür nicht bauchen sind ein Verteidigungspanzer, Angst und Scham.
Wertschätzen
Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen möchten relevant sein, sich anerkannt fühlen, zu etwas Wichtigem beitragen. So geht wertschätzen: Menschen wahrnehmen, sie befähigen ihren Teil beizutragen und diesen anerkennen. Was wir dabei lernen ist der Respekt und das Vertrauen der Anderen zu gewinnen. Was wir damit freisetzen ist eine enorme Motivation und Energie. Was wir dafür brauchen ist ein open-heart, open-mind und open-will. Was wir dafür nicht brauchen ist das Ego.
Sich kümmern
Geistiges und körperliches Well-Being. Ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln und für das Wohlergehen sorgen. Was wir dabei lernen ist, die Personen, die mit und für uns arbeiten, in den Mittelpunkt unseres Business zu stellen. Was wir dafür brauchen ist Humanität und das We-Mindset. Was wir dafür nicht brauchen ist das I-Mindset.
Ermutigen
Vertrauen schenken, das Potential der Anderen erkennen, Unterstützung anbieten und permanent ermutigen. Das tut den Menschen so gut, macht sie kraftvoll und kreativ. Was wir dabei lernen ist echte Leader zu werden. Was wir dafür brauchen ist Offenheit und Freude am Empowern. Was wir dafür nicht brauchen ist Kleindenken, Egoismus und Neid.
Sind es nicht jene menschliche Fähigkeiten die wir - wie einen Muskel - trainieren können, um eine neue Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der wir als Menschen gedeihen können? Die Zeit ist reif dafür, lasst uns „gamechangen“!
Über die Autorin
Eleonora Bonacossa ist internationaler und zertifizierter Business Coach, Gründerin und Leiterin von ARETA new perspectives for leaders, einer internationalen Management- Beratungsfirma mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie ist unter den "Top 20 Business Coaches to Look Out For In 2021" von dem amerikanischen Online-Magazin Entrepreneurs Herald gelistet und coacht Führungskräfte, die Menschen ganz anders führen wollen und nach einer wertschätzenden, motivierend und produktiven Arbeitsatmosphäre streben. Mit ihrem brandneuen Buch „6 Leadership Skills, die Dich zum Gamechanger machen“ stellt Eleonora Bonacossa die menschliche Seite des Business in den Vordergrund und will Leader und Teammitglieder zum Gamechanging ermutigen.
Weitere Infos:
www.6leadershipskills.com und www.areta.global
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