Niemals langweilig: Arbeiten im Lektorat

Veröffentlicht am 07.06.2022 von Sebastian Petrich
© Stefan Höning

Wo geschrieben wird, passieren Fehler. Dass wir im Alltag davon wenig merken, ist den Lektorinnen und Lektoren zu verdanken. Sie sorgen für stimmige und gut lesbare Texte. Welche Aufgaben genau Lektoren und Lektorinnen in der Medienbranche übernehmen, welche Qualifikationen für diesen Beruf nötig sind und welche Verdienstmöglichkeiten das Lektorat bringt, lesen Sie in diesem Überblick.

Was Lektorinnen und Lektoren machen

Klar: Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung müssen stimmen. Die dafür nötigen Korrekturen vorzunehmen – das sogenannte Korrektorat –, ist aber nur ein Teil der Arbeit im Lektorat. Vielmehr optimieren Lektorinnen und Lektoren Texte in jeder denkbaren Hinsicht. Als aufmerksame und kritische Testleser versetzen sie sich in das Publikum und fragen sich: Ist der Text verständlich? Spricht er die gleiche Sprache wie die Zielgruppe? Hält er am Ende, was er zu Anfang verspricht? Das Lektorat hat das große Ganze einer Publikation, etwa den logischen Aufbau, den Spannungsbogen und den einheitlichen Sound, ebenso im Blick wie viele vermeintliche Kleinigkeiten: hier ein schiefes Sprachbild, dort eine ermüdende Wortwiederholung, dann wieder eine viel zu umständliche Satzkonstruktion – all das wird im Lektorat ausgebessert. Und selbstverständlich gehört in vielen Fällen auch eine Beschäftigung mit dem Inhalt dazu: Sind die getätigten Aussagen plausibel, überzeugen die gewählten Beispiele, sind die genannten Quellen glaubwürdig?

Vielfältige Tätigkeiten

Je nach Art der Publikation kommen auf die Lektorinnen und Lektoren recht unterschiedliche zusätzliche Aufgaben zu. Betreuen Lektor*innen beispielsweise ein Schulbuch oder einen wissenschaftlichen Sammelband mit Beiträgen verschiedener Verfasser, so diskutieren sie mit diesen das geplante Vorhaben auf einer Autorentagung. Das erfordert nicht nur Expertise im jeweiligen Thema, sondern auch organisatorische und diplomatische Fähigkeiten. Fingerspitzengefühl brauchen auch der Belletristiklektor*innen, wenn sie mit den erfolgreichen, aber eigenwilligen Romanautorin den Plot ihres neuesten Buchs besprechen. Auf Kenntnisse im Urheberrecht kommt es dagegen an, wenn im Rahmen der Bildredaktion zu klären ist, welche Fotos zu welchen Konditionen in einem neuen Werk veröffentlicht werden dürfen. So unterschiedlich ihre Textsorten und Themenfelder sind, haben die meisten Lektorinnen und Lektoren eines gemein: Sie müssen sehr viel lesen und wissen – und immer wieder auch schreiben. Schließlich gehört es zu ihren Aufgaben, den Autorinnen und Autoren Alternativvorschläge zu machen, schnell noch ein paar Infoboxen oder Bildunterschriften zu texten oder Zwischenüberschriften und Marginalien einzusetzen. Und natürlich muss auch jemand den Klappentext formulieren. Die Grenze zum Ghostwriting ist oft fließend.

Bücher und sehr viel mehr

Fast bis zum Ende des letzten Jahrhunderts ließ sich das Berufsbild Lektorat recht leicht beschreiben. Lektorinnen und Lektoren arbeiteten in Buchverlagen, Korrektoren und Korrektorinnen für Zeitschriften- und Zeitungsverlage. In so manchen Verlagen hatten die Lektoren ähnlich viel oder sogar mehr zu sagen als die Verleger selbst; wechselten sie zu einem anderen Verlag, so folgten ihnen oft „ihre“ Autorinnen und Autoren. Ab den Neunzigerjahren begannen immer mehr Verlage, am Personal zu sparen und Textarbeit an externe Dienstleisterinnen und Dienstleister auszulagern, während die verbliebenen Beschäftigten sich zunehmend auf Programmplanung und Projektsteuerung konzentrierten. Ein neuer Berufsstand war geboren: das freie Lektorat. Die freiberuflichen Lektorinnen und Lektoren der ersten Stunde kannten die Buchbranche bestens, hatten sie doch nicht selten zuvor in den Verlagen als Angestellte gearbeitet. Gleichzeitig erschlossen sie sich neue Auftraggeber jenseits der Verlagsbranche. Unternehmen, Werbeagenturen, Behörden, Stiftungen, Verbände und Vereine begannen von den Dienstleistungen des noch jungen Berufsstands zu profitieren. Heute kommt ein nicht unwesentlicher Teil der Lektoratsaufträge außerdem von Privatleuten. Studierende und Postgraduierte lassen ihre akademischen Qualifizierungsarbeiten gründlich Korrektur lesen. Und seit Beginn der 2010er-Jahre nutzen immer mehr Autorinnen und Autoren die Möglichkeiten der Digitalisierung, um ihre Werke im Selfpublishing und damit völlig unabhängig von der traditionellen Verlagsbranche zu verkaufen. Dabei erhalten sie Unterstützung von freien Lektorinnen und Lektoren.

Wie werde ich Lektorin oder Lektor?

Ob angestellt oder freiberuflich: Lektorin und Lektor sind keine geschützten Berufsbezeichnungen, dementsprechend gibt es keine geregelte Ausbildung für das Lektorat. Manche Lektorierende haben ein Volontariat in einem Verlag oder bei einer Zeitung absolviert, viele haben zuvor im Journalismus oder in der Wissenschaft gearbeitet. Allen gemein ist ein hohes Bildungsniveau: 2021 ergab eine Umfrage des Verbands der Freien Lektorinnen und Lektoren e. V. (VFLL) unter seinen Mitgliedern, dass 77 Prozent der Befragten einen Hochschulabschluss haben und weitere 16 Prozent promoviert sind. Ein abgeschlossenes Germanistikstudium ist unter den im Lektorat Tätigen keine Seltenheit, aber entgegen häufig geäußerten Vermutungen keine Voraussetzung für die professionelle Beschäftigung mit Texten. Tatsächlich haben viele freie Lektorinnen und Lektoren einen anderen geisteswissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Hintergrund, auch andere Fachleute wie Medizinerinnen und Juristen, Biologinnen und Geografen finden sich im Berufsstand. Angesichts dieser breit gefächerten akademischen Hintergründe ist es wenig verwunderlich, dass es im deutschsprachigen Raum Fachlektorate für nahezu jedes Sachgebiet und Genre gibt. Noch wichtiger als breite Allgemeinbildung und Spezialwissen ist jedoch das Bewusstsein für das eigene Nichtwissen: Gute Lektorinnen und Lektoren wissen genau, was sie nicht wissen – und wo sie nachschlagen müssen.

Fortbildung sichert Qualität

Müssen alle im Lektorat erforderlichen Fähigkeiten autodidaktisch erworben werden? Nicht ganz. Der Berufsverband VFLL bietet teils in Eigenregie, teils in Kooperation mit anderen Institutionen Jahr für Jahr mehrere Dutzend Fortbildungsveranstaltungen an, die sich an Berufsneulinge wie auch an „alte Hasen“ richten. Die Fortbildungsangebote des VFLL reichen von Kernthemen der täglichen Arbeit im Lektorat (zum Beispiel zu grammatischen Zweifelsfällen oder typografischen Feinheiten) über den Umgang mit bestimmter Software bis zu Fragen des Marktauftritts (zum Beispiel Angebotserstellung und Honorargestaltung). Die Seminare und Workshops stehen grundsätzlich auch Nichtmitgliedern*innen offen, allerdings profitieren VFLL-Mitglieder*innen von stark vergünstigten Teilnahmebeiträgen.


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Selbstständig, aber nicht allein

Für diejenigen, die neu in den Beruf einsteigen wollen oder es unlängst getan haben, lohnt sich der Eintritt in den VFLL häufig schon für eine einzige Fortbildung. Dabei ist das Fortbildungsprogramm nicht der einzige Vorteil einer Mitgliedschaft im Berufsverband. Auch ein Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis ist bares Geld wert, denn hier suchen Auftraggeberinnen und Auftraggeber nach Textprofis. Und noch wichtiger: Der VFLL ist nicht nur eine Interessenvertretung für Textdienstleistende, sondern auch ein weitverzweigtes Netzwerk, in dem sich Lektorinnen und Lektoren austauschen und gegenseitig unterstützen, sei es auf regelmäßigen Fachtreffen oder auf der verbandsinternen Mailingliste.

Einkommen und Honorare

Der schon erwähnten VFLL-Umfrage von 2021 zufolge sind die häufigsten Formen der Honorarabrechnung Stundenhonorar, Seitenhonorar und Pauschalhonorar (in dieser Reihenfolge). Bei der Honorarkalkulation müssen freie Lektor*innen bedenken, dass das tatsächliche Einkommen niedriger liegt als das Honorar, denn von den Umsätzen müssen diverse Ausgaben, wie Betriebskosten, Steuern oder Sozialversicherung, abgezogen werden. 58 Prozent der Befragten stuften ihr Einkommen als völlig ausreichend oder einigermaßen ausreichend, 25 Prozent als gerade so ausreichend und 16 Prozent als nicht ausreichend ein. Wer reich werden möchte, sollte sich also tunlichst einen anderen Beruf suchen. Doch offensichtlich bringt das Arbeiten im freien Lektorat andere Gewinne mit sich, denn in der VFLL-Umfrage gaben 87 Prozent an, auch in drei Jahren diesen Beruf ausüben zu wollen. Angesichts der genannten Zahlen empfiehlt der VFLL seinen Mitgliedern, ein noch stärkeres Augenmerk auf Profilbildung, Kalkulation und Beharrlichkeit bei Honorarverhandlungen zu richten. Außerdem erinnert der Berufsverband immer wieder daran, dass es außerhalb der Buchbranche, in der unangemessen niedrige Honorare am häufigsten vorkommen, attraktive und zukunftsträchtige Beschäftigungsfelder gibt. Vor allem bei Unternehmenskund*innen ist die Nachfrage nach korrekten und gut lesbaren Texten ungebrochen.

Unser Autor
Sebastian Petrich ist freier Lektor, Texter, Redakteur und Autor. Er ist Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e. V. (VFLL).

Lesen Sie hierzu passend auch unser Interview Bewerben als Lektor*in